Vom „Reichtum der Sichtbarkeiten“ und der „Liebe zu den Dingen“

Die Briefe der zweiten Lebenshälfte durchzieht neben den fortgesetzten Naturbeschreibungen ein weiteres Leitmotiv: Das sind die Kommentare zu großen Ausstellungen, die von Maders gründlicher Auseinandersetzung mit den Meistern des 20. Jahrhunderts zeugen. Der Stellenwert dieser Präsentationen war für einen Maler der Nachkriegsära unschätzbar angesichts damals noch fehlender Publikationen und Farbreproduktionen. Sie spielten für die Selbstfindung, die Abgrenzung und die Sicherung der eignen Position eine fundamentale Rolle, waren doch die Kriterien zwölf Jahre lang auf den Kopf gestellt und Deutschland von der internationalen Entwicklung abgeschlossen gewesen. Günther Franke, der wie vor 1933 in München tonangebend war, zeigte nun Willi Baumeister, zu dessen Malerei Mader keinen Zugang hat:

„Aus dieser Art von Malerei scheint mir niemals eine Beglückung u. seelische Bereicherung zu kommen. Welch ein Unterschied, wenn man daneben die Spitzen der französischen Modernen stellt. (…) Das ist eben der Vorzug, dass eine wache Sinnlichkeit des Auges das ganze Bild durchdringt, dass kein Rest bleibt, der irgend einem anderen Wollen sein Entstehen verdankte. Und sie sind natürlich durch dieses wache Augenerleben die großen Lehrmeister in der Malerei.“

Doch die Zeit fordert eine Auseinandersetzung. Mader liest Baumeisters Buch „Das Unbekannte in der Kunst“ von 1947: Das Buch sei sehr interessant und habe teilweise etwas sehr Suggestives, er finde die literarische Ausdrucksweise Baumeisters wesentlich eindringlicher als seine malerische, die er als „Sackgasse“ empfinde, wie ja überhaupt die abstrakten Bestrebungen im Grund doch etwas Unbefriedigendes an sich hätten. „Der Reichtum der Sichtbarkeiten ist so unermesslich und es ist nicht einzusehen, weshalb der bildende Künstler auf ihn verzichten soll.“ Im Gegenteil, er glaube, „dass die Liebe zu den Dingen und daraus entspringend der Wille zu einer überlegenen Ordnung im Bild die Voraussetzungen sind, um etwas von Beständigkeit zu leisten.“

Unmittelbar auf diese Passage folgt wieder eine der zahlreichen Naturschilderungen, die Maders gesamte Korrespondenz wie lyrische Einlagen durchziehen und ein Gleichgewicht zu seinen intellektuellen Analysen herstellen. Vom Frühlingserleben auf einem Spazierganz im Englischen Garten berichtet er, von Meditationen über das Naturgeschehen: „Diese Beständigkeit der Natur hat etwas Ergreifendes und zugleich etwas Beängstigendes, denn unbekümmert und gefühllos um unsern inneren Zustand vollzieht sich ihr Gang“; von „geheimnisvoller Entsprechung zwischen Menschenwelt und Natur, von der Intensität der Erinnerung, die dem „unsagbaren Zauber vergangener Frühlingstage“ gilt und von der unbewegten „Mittagsstimmung der Sommerfülle“ ist die Rede. Deutlich offenbart eine solche Briefstelle, wie sehr Mader aus der verdichteten Erinnerung malt – er zog nicht mit der Staffelei vor Ort, wo er lediglich Skizzen nahm. Mehr als Naturbeschreibungen gilt seine Malerei der Nachkriegszeit der Naturinterpretation, die sich eine abstrahierte Bildform sucht. Wenngleich diese stillen Bilder nur vereinzelt ein Echo hervorriefen, so war darunter mancher Kenner wie der 81jährige Richard Riemerschmid, der 1955 zu Maders Kollektivausstellung ins Lenbachhaus gekommen war. Er schrieb an seinen ehemaligen Schüler:

„Ich bin ganz erregt vor manchen Ihrer Bilder gestanden freudig erregt und mit einem Bedürfnis es auszusprechen.“

Er vergleicht diese Empfindung mit der Freude, die man an herrlichen Gedichten haben kann auch wenn man die Sprache in der sie geschrieben sind nicht bis in alle Einzelheiten versteht.“


Wasser Stock Joseph Mader

Gemälde Sichtbarkeiten Joseph Mader